16.8.07

Milch sind ihre Zähne

Gegen meine Gewohnheit habe ich mir die Ausgabe 33 des Spiegel gekauft mit dem Sommerlochthema "Preussens Gloria". Überrascht blicke ich im Leserbriefteil auf Seite 12 auf eine ganzseitige Anzeige der CMA ("Bestes vom Bauern"), gefördert mit den Mitteln der Europäischen Union. "Milch ist meine Stärke". Eine Yvonne Catterfeld, die Dame mit dem Riesenglas Milch daneben, erklärt mir:
"Wer viel unterwegs ist, braucht auch mal ne' Auszeit. Und zu meiner gehört ein Glas Milch dazu. Da kann ich entspannen und mit pflegenden Milchproteinen und Calcium gleichzeitig was für meine Haut, Haare und Nägel tun."


Die Kampagne Milch ist meine Staerke weckt verschüttete Erinnerungen. Schon in der Schule waren wir der Interessenvertretung der Milchproduzenten ausgesetzt, die in der Tradition der Schulspeisung Schulen als Kanal zur Milchwerbung okkupiert hatten. Brauche kleine Kinder wirklich Milch? Ist das Nährmittel Milch mit dem Gute 7 Gesundheitsmumpitz nicht längst überholt? Sorgt zu viel Milch nicht für gesundheitliche Probleme bei Kindern?

Ich frage mich, warum sich öffentliche Institutionen wie die Europäische Union in die Konsumentscheidungen der Bürger einmischen. Ist es wirklich die Aufgabe des Staates "awareness" für Milch zu generieren? Das ist deshalb eine sehr wichtige Frage, weil in einer liberalen Ordnung der Staat sich hier nicht einzumischen hätte. In vielen Papieren der EU oder UN hinterlassen Interessengruppen eine eindeutige Spur. Typisch ist ein missionarischer Eifer für die eigenen Partikularinteressen. Das Defizit an öffentlicher Unterstützung will man durch "Bewusstsein schaffende" Maßnahmen kompensieren, die ausgerechnet vom Staat gefördert und gezahlt werden sollen. An die Stelle von Maßnahmen und Aktivitäten tritt eine Beeinflussung der öffentlichen Meinungsbildung mit öffentlichen Geldern.

Ob es dabei um Milch geht, die angeblichen Gefahren des Internets, die Wichtigkeit des Patentschutzes für KMU, die Notwendigkeit des europäischen Einigugnsprozesses oder andere hehre Ziele geht, die Beratungsindustrie ist zur Stelle. Nicht mehr lobbyieren Interessenvertretungen den Staat, organisieren und artikulieren Bürger ihre Interessen, sondern der Staat schafft selbst Initativen, die den Bürger oder sogar Entscheidungsträger bearbeiten.

Bedenklich, und da sind wir wieder bei der Milch von Frau Catterfeld, ist es vor allem, dass immer wieder darüber in fachfremden Foren gesprochen wird, was in Schulen oder Universitäten gelehrt werden sollte. So als gäbe es keine Freiheit der Lehre im Grundgesetz und wäre Schulpolitik überhaupt Sache der EU oder UN. Ich glaube nicht an die Heilkraft der Milch.
CMA:

Das natürlich enthaltene Calcium der Milch wird von unserem Körper besonders gut aufgenommen. Dafür sorgt der enthaltene Milchzucker oder in Sauermilchprodukten die Milchsäure."


Warum kommt es aber zu diesen Mechanismen? Vielleicht liegt es daran, dass Interessenvertreter häufig eine Affinität zur Volksaufklärung haben. Der Neue Mensch soll die Segnungen des Milchtrinkens verstehen und mit "Milchproteinen und Calcium" sich seine Haare pflegen. Ihnen geht ein liberales Staatsverständnis vollkommen ab. Werbeaktivitäten sind relativ überschaubar und einfach in der Umsetzung. Einfach in dem Sinne, dass jeder meint hier mitmachen zu können. Werbung kann man für alle Glaubenssätze betreiben. Und der Staat muss nichts tun, als den Glauben an die Öffentlichkeit zu tragen. Die Mitwirkung an der Meinungsbildung der Volkes.

In meiner Stadt beispielsweise gibt es eine EU-Kampagne um für Perspektiven Älterer Menschen auf dem Arbeitsmarkt Werbung zu machen. Das ist sinnfrei und ausgesprochen verletzend angesichts einer lokalen Situation, in der unsere Bürger über 50 real kaum Chance haben, und die Jüngeren ohnehin wegziehen. Sie dazu ermuntern sich dem Arbeitsmarkt zu Verfügung zu stellen, ist ziemlich zynisch. Vor allem ist es aber ein Placebo für echte Aktivitäten ist, beispielsweise infrastruktureller Art, um die Bedingungen für Ältere zu verbessern. Indoktrination ist schlichtweg billiger als Aktivität.

Frau Catterfeld ist "Sängerin und Schauspielerin". Ich kenne sie nicht und ihr Anlitz macht mich aggressiv. Offenkundig wird sie aber als ein Vorbild für einige Mitbürger gesehen, genauso wie die anderen Milchbotschafter: "Zahlreiche Prominente, wie z. B. Sarah Connor, Barbara Schöneberger, Kai Pflaume, Moritz Bleibtreu und Sky du Mont, unterstützten bisher die Kampagne." Was wohl die Mitarbeiter der Werbeagentur zu diese konventionell gestrickten Kampagne meinen?
GWA:
Die Botschaft „Milch ist meine Stärke“ steht im Zentrum der Imagekampagne, die seit Juni letzten Jahres von Scholz & Friends umgesetzt wird. Prominente Persönlichkeiten outen sich als leidenschaftliche Milchtrinker.

Prima Konzept!

Kommunikationsbranche aktuell:
"Mit der auf drei Jahre ausgerichteten Kampagne wird mit prominenten Milch-Botschaftern auf die vielen positiven Eigenschaften der Milch und ihre Bedeutung im Rahmen einer ausgewogenen Ernährung aufmerksam gemacht."


Das aber habe ich schon in der Schule gelernt: Ich glaube Euch nix.

Die orchestrierte Kampagne wird durch ein PR-Konzept von Scholz & Friends Brand Affairs und den Internetauftritt www.milch-ist-meine-staerke.de von Scholz & Friends Interactive abgerundet.


Wie wäre es damit, der CMA einfach mal den Geldhahn zuzudrehen? Warum soll die Öffentlichkeit für die Absatzwerbung der Milchindustrie zahlen?