29.5.05

Stellungnahme

Uih, die arme Literaturbüroliteratur. Jetzt erfindet sie gar ihre eigene reaktionäre Version des Bloggens wieder neu. Unter dem Stichwort "Netznotizen" (gute Übersetzung) schreibt Stipendiat Th. Meinecke (im "schwer vermittelbaren Alter") seinen Senf über alles, was er in der Zeitung (jupp: Netzquellen - von wegen!) liest oder als Zeitzeuge in unserer Zeit zur Erzeugung von Zeug bezeugt. Jung Meinecke, der Senfbote, wird da folgendermaßen eingeführt:
Als Zeitzeuge kommentiert er mit seinen Texten das Zeitgeschehen und bezieht Stellung. Er besucht zudem die Häuser in Braunschweig, Göttingen, Hannover, Lüneburg, Oldenburg und Osnabrück, tritt dort auf, liest die örtlichen Zeitungen, sieht sich um - und was er bei uns liest und erlebt, fließt in seine Texte ein: aktuell wie das Netz selbst und höchst subjektiv.
Ich schnappe "höchst subjektiv" auf, dass wir den literaturbürostigen Schreiber "Stellung beziehen" lassen und ich denke mir, hmm, warum solche Phrasen, hmm, aber - in der Tat - T.M orgelt nett stalinistisch auf der Sprache rum:
Montag, 23. Mai 2005 In der Wochenendausgabe der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung finde ich einen Bericht über die Eröffnung des neuen Terminal 1 des sich auf beschränktem Gelände und erstaunliche Weise immer wieder als erweiterungsfähig erweisenden Hamburger Flughafens Fuhlsbüttel, in dessen altem Abfertigungsgebäude, dessen langgezogener Schalterhalle, ich 1966 bis 1969, als elf- bis vierzehnjähriger Junge, mehrmals wöchentlich ein- und auszugehen pflegte.
Geh aus, mein Herz und Kerz! Aus der Wikipedia erfahren wir über über seine Lebenspfade:
Thomas Meinecke (* 25. August 1955 in Hamburg) ist ein Musiker, Autor und DJ. 1977 ging er zum Studium nach München und lebt seit 1994 in einem oberbayrischen Dorf in der Nähe von Wolfratshausen.
Hamburg - München - Nähe von Wolfratshausen (Oberbayern). Un jetz ins Netz.

Ernst Corinth, kein von mir geschätzter Telepolis-Journalist, kommentiert den Ausflug ins Netz treffend:
Wie das Projekt sich weiterentwickelt, ist auch aus der Sicht des Autors noch völlig offen. Man kann nur hoffen, dass die zukünftigen Netznotizen spannender oder wenigstens interessanter werden und dass sie sich vielleicht auch mal mit dem Medium auseinandersetzen, in das sich der Suhrkamp-Autor nun einmal begeben hat. Bisher jedenfalls wirken seine Notizen bemüht, wie eine leidige Pflichtaufgabe, was sie ja vielleicht auch sind.
Wobei Corinth weit ausholt:
Was man zudem vermisst, ist die Möglichkeit der Leser, die Texte zu kommentieren oder über sie zu diskutieren. Zwar ist für die Veranstalter die Netzseite ein "virtueller Veranstaltungsort", den sie erstmals gemeinsam "bespielen". Aber das ist natürlich kein Grund, die interaktiven Möglichkeiten des Netzes so beflissentlich zu ignorieren – inhaltlich wie formal.
Das wäre doch zuviel verlangt. Die Bosheit des Netzes ist, dass wir "höchst subjektiv" kommentieren - ob sie ihre Spielwiese uns lassen oder nicht. Corinth kommentiert in TP, ich besenftige das Projekt hier mit meinen bescheidenen Mitteln, beide Kommentare bequem einen Klick von Google entfernt. Dass man den Ernst nicht immer Corinth nehmen darf, zeigt der folgende Aufruf zur Literaturweltrevolution:
Oder gibt es da doch noch ein Literaturverständnis, das noch nicht auf der Höhe der Internetzeit ist oder das Angst davor hat, den Leser auch zu Wort kommen zu lassen?
Böse, böse. Da will er die Grundfesten der Literaturbüroliteratur erschüttern. Aber es wird ihm nicht gelingen.

Keine Kommentare: