6.7.06

Patalongs Aufregung um nichts

Spiegel.de Frank Patalong erkennt ein Problem darin, dass aktuelle Wikipediartikel wie ja auch bei Agenturen und bei Zeitungsredaktionen sich gemäß dem jeweiligen Kenntnisstand entwickeln. Das problematisiert Frank Patalong kritisch, und stellt auf eine angebliche "Aufregung" und "Empörung" ab. Aufregen kann man sich nur über den Journalismus, denn statt Strohmannkritiken mit Bauchgefühl hätte ihm doch was anderes einfallen können zum Schliessen des Sommerloches. Strohmann? In der Tat. "AUFREGUNG UM WIKIPEDIA" steht im Titel. In Variationen:

..., sorgt für Diskussionen.
So überzogen die Empörung darüber ist...
...sorgte das für ein großes Hallo - und einigen Spott.



Der Kernfehler seiner journalistischen Kritikmasche ist: Du nimmst ein interessantes Medium nicht als eigenes Phänomen mit eigenen Gesetzen und Maßstäben wahr, sondern trägst eine fremde Messlatte an, etwa ein eigenes journalistisches Ideal, das aus den Erfahrungen des heimischen Mediums und seinen Bedingungen erwächst, bzw. einfach nur Tradition ist -- man erkläre mir mal, warum das Konzept der Werktreue in der Musik so bedeutsam und im Schauspiel abgelehnt wird.

Das weiss natürlich auch Patalong. Statt Unsinn zu schreiben, bevorzugt er eine Kritik des Unsinns, nämlich über Mr. Strohmanns Aufregung, zu schreiben. Eine Relativierung von 100% Stohmannkritik auf 60%. Denn da gibt es natürlich die übliche Dosis Ethikunterricht und wie-ich-alles-besser-machen-würde als Nachschlag.

Ein Thema öffentlich zu diskutieren ist gut, die Hintergrunddiskussion zu einem ernsten Beitrag aber zur Plattform für Gerüchte und Konspirationstheorien zu machen, wohl kaum.


Nehmen wir diesen Satz.
zur Plattform für Gerüchte und Konspirationstheorien zu machen

Wer macht das was zum Gerücht? Der Betreiber der Plattform? Nein, Gerüchte werden von Privatpersonen verbreitet. Gerüchte sind auch nichts Schlimmes, weil man sie widerlegen kann. Hinter dem Satz von Patalong steht der Gedanke, dass er eine Art Zugangsbeschränkung für das Schreiben haben will. Eine offene Diskussionskultur ist für ihn gefährlich.

Alternativ kann man Patalongs Vorgehen auch als Kritik an einer Kritik aus "seriöser Quelle" sehen nach dem Senfadditionsprinzip. Und da sollte er sich mal Gedanken um seine eigenen Quellenbewertungen machen.
Die Nachrichtenagentur Reuters stürzte sich auf den Vorgang, und binnen eines Tages berichteten allein im englischsprachigen Internet mehr als 1400 Zeitungen darüber. Der Grundton der Berichte: Da kann man mal sehen, was die für einen Unsinn treiben.

Kolportage, der alte Vorwurf. Kolportage auch beim Kritiker der Kolportage.